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Die dissoziative Identitätsstörung in der Arbeitswelt - ein Beispiel

Für Personen mit einer dissoziativen Identitätsstörung (DIS) kann der Arbeitsalltag eine Herausforderung darstellen. Zudem hat nicht jedes System die gleichen Ansprüche bzw. Bedürfnisse, was es schwierig macht hier einen Beitrag zu schreiben, der generalisierend aussagt, was man bei DIS-Betroffenen in der Arbeitswelt betrachten muss. Ziel soll es sein, dass diese Personen gefordert, aber auch gefördert werden. Manche Systeme sind voll funktionsfähig und qualifizieren sich für sehr verantwortungsvolle Stellen, andere wiederum leben von einer Invaliden-Rente und arbeiten höchstens im sogenannten zweiten Arbeitsmarkt. Im zweiten Arbeitsmarkt unterliegen die Arbeit- und Beschäftigungsverhältnisse nicht der freien Wirtschaft (AHV-IV). In der Folge soll anhand eines Beispiels aufgezeigt werden, welchen Hindernissen DIS-Patient:innen im Arbeitsalltag begegnen und wie diese überwunden werden können.



  • Organisation Oft haben Betroffene mehrmals die Woche Psychotherapie, Ergotherapie, ambulante Betreuung oder Achtsamkeitstraining, sodass es oft schwierig ist zu fixen Zeiten an fixen Tagen zu arbeiten. Je nach dem, wer im System gerade das Sagen hat, ist es schwierig einer geregelten Arbeit nachzugehen, da andere Bedürfnisse im Vordergrund stehen. In unserem Beispiel hat die Betroffene dies so geregelt, dass sie aus dem Home Office, und damit orts- und zeitunabhängig, arbeiten kann. Damit ist es möglich die intensive Therapie weiterhin zu verfolgen und gleichzeitig zu arbeiten.

Wir möchten mehr Arbeitsplätze, egal ob im ersten oder zweiten Arbeitsmarkt, die für DIS-Patient:innen ausgelegt sind mit einem flexiblen Arbeitsmodell.
  • Arbeitsbelastung Es gibt Tage, da ist man als System äusserst produktiv, an anderen Tagen geht so gut wie gar nichts. Je nachdem, wer gerade den Output-Kanal bedient, könnte man Bäume ausreissen oder den ganzen Tag nur schlafen. Oft ist es deshalb ein "Alles-oder-Nichts-Prinzip". Je nach Ego-State ist man teilweise auch überproduktiv und neigt dazu, sich zu überfordern. Um das System nicht aus dem Gleichgewicht zu bringen sollten angenehme Aktivitäten fest eingeplant werden, damit die Work-Life-Balance nicht aus den Fugen gerät. Unser Beispiel-System hat es so gelöst, dass sie sich einen Wochenplan angefertigt hat mit Wochenzielen, die zu erreichen sind, aber nicht an fixe Termine bzw. Tage gebunden sind.

Wir möchten auch, dass Arbeitgeber:innen Flexibilität bzgl.der Arbeitsbelastung zeigen und den Betroffenen genügend Zeit für das Erreichen der Ziele einräumen.
  • Management von Anteilswechseln Die Wechsel zwischen verschiedenen Anteilen zu managen ist im Home Office weniger ein Problem im Vergleich zur Arbeit im Büro, in der Werkstatt oder anderswo. Man hat täglich mehrere Interaktionen mit Mitarbeiter:innen und Arbeitgeber:innen und evt. Kund:innen. Die Wechsel zwischen den Persönlichkeitsanteilen können kaum bemerkbar sein, aber auch bis hin zu totalen Veränderungen im Denken, Fühlen und Handeln führen. Dies kann für Arbeitskolleg:innen und Kund:innen irritierend sein, vorallem, wenn diese die hervortetretenden Anteile nicht kennen, oder diese Anteile selbstgefährdet sind. Hier hilft in der Regel Offenheit gegenüber anderen Menschen. Notiz: Selbstverständlich steht es jedem System frei, ob es sich als DIS-System outen will. Unsere Betroffene hat das lange für sich behalten, erst als sie sich geoutet hat, war auch Verständnis für die Situation vorhanden.

Kommunikation ist das A und O! Das sprechen über dieeigene Situation kann erleichternd sein und fördert dasVertrauensverhältnis. Doch wie bereits erwähnt, muss dasSystem seine Diagnose nicht preisgeben.
  • Vorurteile Die Stigmatisierung von DIS-Patient:innen und die Reproduktion von Vorurteilen durch verschiedene Medien kann insbesondere im Arbeitskontext ein grosses Hindernis für Betroffene darstellen. Das Vorurteil, dass DIS-Betroffene im Kontakt mit anderen eine besondere Gefahr darstellen, haben wir in unserem letzten Beitrag "Sind DIS-Patient:innen gefährlich?" (https://www.dispositiv.info/post/sind-dis-patient-innen-gef%C3%A4hrlich) abgehandelt und festgestellt, dass DIS-Betroffene sogar weniger gefährlich sind, als man von der Prävalenz der Erkrankung vermuten könnte. Dank Hollywood herrscht immer noch das Bild des:der Serientäter:in mit DIS - Hauptsache möglichst abnorme und sensationelle Protagonisten. Obwohl die offene Kommunikation der Situation helfen kann, einige zentrale Hindernisse im Arbeitsalltag zu überwinden, macht unsere Betroffene mit ihrer Offenheit nicht nur gute Erfahrungen: Auf der Suche nach einer Arbeitsstelle macht unsere Betroffene während dem Bewerbungsprozess auf ihre Situation aufmerksam, worauf die HR-Managerin in diesem Fall zurückweisend reagierte (sinngemäss): „Wir dachten, Sie säßen nur im Rollstuhl – aber so sind Sie ein zu großes Risiko! Wir wissen nicht, wie sich Ihre Krankheit auf den Kundenkontakt auswirken wird. Aus diesem Grund müssen wir das Vorstellungsgespräch absagen. Es tut uns leid!“

Die beste Möglichkeit, auf Vorurteile zu reagieren, ist sie mit Fakten zu widerlegen. Zudem stellt sich auch auf Seite der Betroffenen die Frage, ob man an einem Ort arbeiten will, an dem derartige Vorurteile gepflegt werden. Wohl eher nicht.

Fazit: Es gäbe durchaus Möglichkeiten , wie sich der erste und zweite Arbeitsmarkt auf DIS-Patient:innen einstellen könnte. Dies verlangt aber viel Verständnis und Flexibilität seitens der:des Arbeitgeber:in. Hier möchten wir ansetzen: Wir setzen uns für flexiblere Arbeitsmodelle mit hohem Home Office Anteil und weniger termingebundene Aufgaben ein. Referenzen https://www.ahv-iv.ch/de/Sozialversicherungen/Glossar/term/erster-und-zweiter-arbeitsmarkt (letzter Zugriff: 29.11.22)

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