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Dissoziative Identitätsstörung und Schizophrenie

Das Bild der Schizophrenie ist unter Laien oft durch das Gespalten sein der Persönlichkeit geprägt und wird oft mit Symptomen in Verbindung gebracht, welche sich mit denen einer dissoziativen Identitätsstruktur überschneiden. Dieses Missverständnis ist jedoch kein Zufall, sondern wurde stark durch die historische Entwicklung von psychopathologischen Erscheinungsbildern/Krankheitsbildern und die damit einhergehenden Diagnosesysteme geprägt (Tschöke & Steinert, 2009). Obwohl sich die Schizophrenie und die Dissoziative Identitätsstörung per Definition als genetisch verursachte psychotische versus eine Trauma-basierte dissoziative Störung voneinander unterschieden werden, stellen die symptomatischen Ähnlichkeiten und Überlappungen der beiden klinischen Bildern auch für die Differentialdiagnose unter Fachkräften eine Herausforderung dar (Foote & Park, 2008).


Ende der 50er Jahre formulierte der deutsche Psychiater Kurt Schneider eine Auflistung von Symptomen ersten und zweiten Ranges für die Identifikation der Schizophrenie mit der Annahme, dass bei Auftreten der Erstrangsymptome mit hoher Wahrscheinlichkeit eine solche vorliege. Die Orientierung an den von Schneider formulierten Erstrangsymptomen wurde zu einem häufig verwendeten, diagnostischen Mittel zur Erkennung von Schizophrenie, da sie die Abgrenzung zu Affektiven Störungen vereinfachte (Nordgaard et al., 2008). In den vergangenen Versionen des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM) und des International Statistical Classification of Diseases (ICD) wurden sie offiziell anerkannt. In den neuesten Versionen (DSM-V und ICD-11) wurden sie jedoch relativiert, da ihre Spezifität zur Diagnose von Schizophrenie und die Abgrenzung zu Persönlichkeitsstörungen und Traumafolgestörungen als fraglich beurteilt wurde (Lau, 2021; Nordgaard et al., 2008).


Überschneidungen der Symptome von Schizophrenie und Dissoziativer Identitätsstörung

Angepasst aus Tschöke, S., & Steinert, T. (2010). Dissoziative Identitätsstörung oder Schizophrenie? [Dissociative identity disorder or schizophrenia?]. Fortschritte der Neurologie-Psychiatrie, 78(1), 33–37. https://doi.org/10.1055/s-0028-1109845


Das Auftreten von Erstrangsymptomen in DIS-Patient:innen wurde wiederholt beobachtet und untersucht. Insbesondere wurden Überschneidungen in den Akustischen Halluzinationen (dialogisierende und kommentierende Stimmen), dem Gefühl von «gemachten» Gefühlen, Impulsen und Handlungen, sowie Gedankeneingebungen (Gedanken werden von aussen eingegeben, kontrolliert oder manipuliert) und Gedankenentzug (von Aussen beeinflusster Entzug bzw. Fehlen von Gedanken) festgestellt (Dell, 2006; Foote & Park, 2008).


Die Identifikation und Diagnose von Schizophrenie und deren Unterscheidung von Dissoziativen Störungen stützt sich heute nicht mehr vorrangig auf die Erstrangsymptome und wird durch die stetige Weiterentwicklung von klinischen Interviews und einem wachsenden Interesse in der Forschung unterstützt. Eine Metaanalyse zur Differentialdiagnose von Dissoziativen Störungen zeigte, dass sich das Structured Clinical Interview for DSM Dissociative Disorders (SCID-D) gut für die Abgrenzung von Dissoziativen gegenüber nicht-dissoziativen Störungen eignet. Insbesondere die Subskalen zur Befragung von Amnesie und abwechselnden Persönlichkeitszuständen konnten gut zwischen dissoziativen und nicht-dissoziativen Störungen unterscheiden (Mychailyszyn et al., 2020).



Literatur


Dell P. F. (2006). A new model of dissociative identity disorder. The Psychiatric clinics of North America, 29(1), 1–vii. https://doi.org/10.1016/j.psc.2005.10.013


Foote, B., & Park, J. (2008). Dissociative identity disorder and schizophrenia: differential diagnosis and theoretical issues. Current psychiatry reports, 10(3), 217–222. https://doi.org/10.1007/s11920-008-0036-z


Lau, S. (2021). Die Schizophrenie im Entwurf der ICD-11 und Implikationen für die Beurteilung der Schuldfähigkeit. Forens Psychiatr Psychol Kriminol 15, 13–19. https://doi.org/10.1007/s11757-020-00650-9


Mychailyszyn, M. P., Brand, B. L., Webermann, A. R., Şar, V., & Draijer, N. (2021). Differentiating Dissociative from Non-Dissociative Disorders: A Meta-Analysis of the Structured Clinical Interview for DSM Dissociative Disorders (SCID-D). Journal of trauma & dissociation : the official journal of the International Society for the Study of Dissociation (ISSD), 22(1), 19–34. https://doi.org/10.1080/15299732.2020.1760169


Nordgaard, J., Arnfred, S. M., Handest, P., & Parnas, J. (2008). The diagnostic status of first-rank symptoms. Schizophrenia bulletin, 34(1), 137–154. https://doi.org/10.1093/schbul/sbm044


Tschöke, S., & Steinert, T. (2010). Dissoziative Identitätsstörung oder Schizophrenie? [Dissociative identity disorder or schizophrenia?]. Fortschritte der Neurologie-Psychiatrie, 78(1), 33–37. https://doi.org/10.1055/s-0028-1109845

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