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Medikamente verstehen: Neurobiologische Grundlagen der Psychopharmaka

In diesem Schwerpunkt werden wir euch umfassend über die Medikamente aufklären, welche in der Behandlung von psychischen Erkrankungen zum Einsatz kommen. Wenn nichts anderes vermerkt ist, bezieht sich dieser Artikel auf Kapitel 2 aus "Handbuch der Psychopharmakotherapie" (Holsboer, 2008). Bevor auf einzelne Gruppen von Psychopharmaka oder spezifische Wirkstoffe bzw. Handelsnamen eingegangen wird, möchten wir euch die biologischen Grundlagen vermitteln, auf denen kommende Beiträge aufbauen resp. Bezug nehmen werden.

"Psychopharmaka sind Substanzen, die gestörte Stoffwechselprozesse im Gehirn beeinflussen und sie bei Fehlregulationen normalisieren können." (Laux und Dietmaier, 2017)

Dabei unterscheidet man verschiedene Pharmakaklassen wie z.B. Antipsychotika (Syn: Neuroleptika), Antidepressiva, Tranquilizer, Analgetika (Schmerzmittel) oder Hypnotika. Eine übersichtliche Darstellung findet ihr im Buch von Holsboer:


Aus "Handbuch der Psychopharmakotherapie" (Holsboer)

Diese Einteilung in diese Wirkungs-bezogenen Gruppen vernachlässigt aber, dass viele dieser Substanzen unterschiedliche Wirkungen haben (breites therapeutisches Spektrum), weshalb eine Substanz eigentlich in mehrere Klassen eingeteilt werden sollte. Für unser Verständnis genügt es aber, dass es bestimmte Gruppen von Psychopharmaka gibt, die z.T. Indikations-übergreifend zur Behandlung von psychischer Erkrankungen eingesetzt werden. (Indikation: zeigt an, dass eine Behandlung angemessen resp. eben "indiziert" ist)




Neuroanatomische Grundlagen: das Gehirn

Das Nervensysten wird unterteilt in ein peripheres (PNS) und ein zentrales Nervensystem (ZNS; bestehend aus Gehirn und Rückenmark). Dabei bilden die Nervenzellen zusammen die "graue Substanz" des Gehirns resp. des Rückenmarks, während die Nervenzellfortsätze die sog. "weisse Substanz" bilden. Diese Einteilung in "grau" und "weiss" beruht auf den sichtbaren Eigenschaften, die man sieht, wenn man das Gehirn entweder durch Bildgebung (Magnetresonanztherapie, MRI) oder durch eine Autopsie untersucht. Für den Stoffwechsel der Nervenzelle ist der Zellkörper (Syn: Soma) verantwortlich. Nervenzellen im Gehirn haben zwei wichtige Fortsätze mit unterschiedlichen Funktionen: die Dendriten (Empfang von Signalen; bilden die sog. Postsynapse) und Axone (Signalweiterleitung auf benachbarte Neurone; bildet die sog. Präsynapse). Der Kontakt zwischen Axonen (präsynaptisches Neuron) der einen und den Dendriten der anderen Nervenzelle (postsynaptsiches Neuron) bilden die Synapse.


Wie funktioniert die Signalübertragung an eine andere Nervenzelle?

Ein Signal wird durch die Weiterleitung eines elektrischen Impulses (auch: Aktionspotenzial), der überwiegend auf dem Einstrom von Natrium in die Nervenzelle beruht, zum Ende des Axons geleitet. Dort befinden sich kleine Bläschen (Syn: Vesikel), die mit einem chemischen Stoff (Neurotransmitter, z.B. Serotonin, Dopamin, Noradrenalin) gefüllt sind und die durch das ankommende Signal (es kommt zu einem Kalziumeinstrom) mit der Aussenschicht der Nervenzelle (Syn: Membran) verschmelzen und diese Neurotransmitter in den synaptischen Spalt entlassen. Diese breiten sich dort aus, docken an der nächsten Nervenzelle an Rezeptoren ("Empfangsstationen"), was eine Öffnung von Kanälen zur Folge hat. Dies führt zum Einstrom von Ionen (Syn: positiv oder negativ geladene Teilchen).


Diese Neurotransmitter können sowohl die nächste Nervenzelle daran hindern, das Signal weiterzuleiten (sog. inhibitorische Neurotransmitter, Bsp. Gamma-Amino-Butter-Säure (GABA); negativer Ioneneinstrom) als auch die Empfänger-Nervenzelle soweit stimulieren, dass dieser elektrische Impuls weitergeleitet wird (sog. exzitatorische Neurotransmitter, Bsp. Noradrenalin, Azetylcholin, Glutamat; positiver Ioneneinstrom). Da eine Nervenzelle nicht nur von einer anderern Nervenzelle Signale erhält (es ist ein Netzwerk mit vielen Verbindungen), muss die Empfängernervenzelle alle einkommenden Ionen-Einströme statistisch (hemmend vs. stimulierend) auswerten. Wird dann ein Schwellenwert erreicht, wird der elektrische Impuls weitergeleitet. Wie eine Nervenzelle genau aufgebaut ist und wie sie funktioniert, findet ihr im Video (oben).


Eine Übersicht des Aufbaus einer Nervenzelle (links) sowie der Synapse (rechts) findet ihr in der Darstellung aus "Physiologie des Menschen" (Brandes, 2019):


Aus "Physiologie des Menschen" (Brandes)


Wo und wie wirken nun Psychopharmaka?

Psychopharmaka wirken sowohl an der Präsynapse (also am Ende des Axons) , im synaptischen Spalt und der Postsynapse (also am Beginn der Dendriten). Im zweiten Bild (unten) werden folgende Angriffspunkte dargestellt.

  • Wirkung auf die Neurotransmitterfreisetzung (Präsynapse): Dieser Ort ist selten Angriffspunkt von Psychopharmaka, aber Psychopharmaka können Einfluss auf regulative Faktoren haben. Bsp. Blockade von hemmender Rezeptoren für Noradrenalin führt zu einer Erhöhung der Noradrenalinkonzentration (Antidepressivum Mianserin) oder die Blockade dopaminerger Neurone (Antipsychotika)

  • Hemmung der Inaktivierung von Neurotransmitter (synaptischer Spalt): Durch die Hemmung der Wiederaufnahme (=Inaktvierungsmechanismus) des Neurotransmitter in die präsynaptische Nervenzelle ist mehr Neurotransmitter im synaptischen Spalt vorhanden, was eine längere/stärkere Wirkung dieses Neurotransmitters zur Folge hat. Bsp. klassische Antidepressiva wie trizyklische Antidepressiva, selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRIs) oder Monoaminooxidase-Hemmer (MAO-Hemmer), sowie atypische Antidepressiva

  • Wirkung auf die Rezeptoren (Postsynapse): - - Durch eine Hemmung der Rezeptoren wird ein Signal nicht mehr auf das Empfänger-Neuron übertragen. Stoffe, die Rezeptoren hemmen, werden Antagonisten genannt. Bsp. Schizophrenie: Antipsychotika blockieren die Dopamin-Empfangsstellen (D-Rezeptor) und vermindern damit die Aktivität derjenigen Nervenzellen, die den Neurotransmitter Dopamin zur Informationsübertragung nutzen. Neuere Antipsychotika wirken auch auf anderen Empfangsstellen (Rezeptoren), wie z.B. Serotoninrezeptoren. - Durch eine Aktivierung der Rezeptoren wird ein Signal im Empfänger-Neuron auch dann ausgelöst, wenn z.B. kein elektrischer Impuls vorliegt. Solche Stoffe, die die Wirkung von Neurotransmittern nachahmen werden Agonisten genannt. Bsp. Benzodiazepine (Beruhigungsmittel wie Temesta) sind Agonisten für den Benzodiazepin-Rezeptor, was bewirkt, dass die GABA-Rezeptoren eher öffnen, sodass das hemmende Signal auf die postsynaptische Nervenzelle übertragen wird.


Viele Antipsychotika und Antidepressiva wirken nicht nur an einem einzigen neuronalen System, sondern haben verschiedene Wirkmechanismen, was z.T erwünscht (z.B. Müdigkeit bei bestimmten Antidepressiva, damit Patient:innen schlafen können) oder unerwünscht (Nebenwirkungen) sein kann. Zusätzlich zu der oben erwähnten Einteilung der Psychopharmaka, können diese Gruppen weiter unterteilt werden. Dies soll abschliessend in der folgenden Darstellung exemplarisch anhand der Antidepressiva gezeigt werden. Genaueres zu den einzelnen Psychopharmakaklassen, sowie deren Untergruppen und deren konkreten Wirkmechanismen wird in separaten Beiträgen thematisiert.


Biochemische Enteilung

Beispiele (Auswahl)

Trizyklische Antidepressiva

Amitriptylin, Imipramin, Desipramin

Tetrazyklische Antidepressiva

Mianserin, Mirtazapin (Remeron)

Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRIs)

Citalopram, Escitalopram, Fluoxetin, Paroxetin, Sertralin

Atypische Antidepressiva

Venlafaxin, Duloxetin, Bupropion

MAO-Hemmer

Moclobemid, Trancypromin




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